Freitag, 19. Juni 2015

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta: Rhodos oder:Warum die Welt heute besser ist.


Zu den Dingen, die dem Leben in unseren Breiten Sicherheit geben, gehört die Gewißheit: Wenn's mal kracht, kommt der Krankenwagen. Früher gab es ja nur solche mit einem ROTEN KREUZ darauf. Heute gibt es unterschiedliche: SAMARITER und JOHANNITER oder MALTESER steht öfter drauf. Wie so oft sind es Namen, die aus einer Welt jenseits der unseren stammen.

Von der Türkei auf Rhodos angekommen, versuchen wir, einen Liegeplatz im nördlichsten der drei Häfen an der Nordost-Seite der Insel, in Port Mandraki zu finden, um einzuklarieren. Einklarieren: das bedeutet für den, der mit dem Schiff aus der Türkei herübersegelt und von Asien nach Europa hinein will, Papierkrieg. Und geduldig vier Stationen abzulaufen:
• zuerst mit den Pässen zur Küstenwache.
• dann zum Hauptposten der Küstenwache.
• dann zum Zoll.
• dann zur Grenzpolizei.

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Aber schon weit vor der Einfahrt steht Mandraki's Hafenmeister auf seiner Mole und signalisiert uns abwechselnd mit wild gekreuzten Armen und abweisender Geste: Hier gibts kein Reinkommen. Mein näher Heranpirschen hat nur zur Folge, dass seine Gesten noch entschlossener und abweisender werden, wo ich doch nur fragen will: Wo ist hier die Zollpier, um für die Halbtags-Prozedur des Einklarierens anlegen zu können? 
Die Antwort ist knapp: Zollpier gäbe es nicht. Ich möge doch da ankern, wo die zwei Katamarane lägen. Vor den Felsen. Hier in der einzigen Marina auf Rhodos wäre jedenfalls gar kein Platz.

Wie so oft verdanken wir dieser harschen Abweisung etwas Schönes: nämlich einen wunderbaren Liegeplatz auf offener Reede zwischen AIDA (noch so ein alter Name aus einer anderen Welt) und den Festungsmauern, die errichtet wurden von: Den JOHANNITERN. Und dass sie von den Johannitern errichtet wurden ist ungewöhnlich genug.


Gehen wir also zurück in die Zeit des ersten Kreuzzugs. Eigentlich war das ein Irrsinns-Unterfangen: Um das Jahr 1095 predigte ein Mann, von Beruf Papst und nicht ganz uneigennützig, dass ein 5.000 Kilometer entfernter unwirtlicher Gebietsstreifen am östlichen Ende des Mittelmeeres unbedingt erobert werden sollte. Die Idee an sich war schlechterdings abwegig, und hätte es sich um einen unwirtlichen Gebietsstreifen hinter "Sidi Abseits" oder sonstwo gehandelt, wäre es den Leuten gleich gewesen. Aber da dieser unwirtliche Gebietsstreifen, von dem der Mann Jahr um Jahr sprach, Schauplatz jener Geschichte war von einem anderen Mann, der öffentlich kluge Dinge darüber gesagt hatte, wie das Zusammenleben unter den Menschen besser funktionieren könnte und dafür von der Obrigkeit wegen Aufmüpfigkeit ans Kreuz geschlagen worden war: wegen dieser Geschichte bekam die Idee Sprengkraft. Im Frühsommer 1098 war es soweit: Eine Armee von geschätzt 25.000 Menschen machte sich auf den Weg und marschierte los. Ritter, Bauern, Bettler, Vagabunden, Abenteurer. Ohne 50er Sonnencreme und Red Bull, ohne Fleece und Jochen Schweitzer, ohne Imodium und Ray Ban. Einfach so, durch Hitze, durch Staub, durch Seuchen, durch feindliche Angriffe von Männern auf kleinen Pferden mit Pfeil und Bogen, die Rum-Seldschuken waren. Dass sie überhaupt ankamen, war ein Wunder. Auch wenn die Hälfte die Anreise nicht überlebt hatte. Die andere Hälfte aber schaffte etwas noch Größeres: die Eroberung Jerusalems. All dies vollzog sich unter großen Entbehrungen, größtmöglicher Grausamkeit, Progromen gegen Juden noch beim Abmarsch, Massakern an Christen und Nichtchristen im Feindesland.

In jenen Jahren war es um die Versorgung Erkrankter und Verletzter schlimm bestellt. Das gesamte medizinische Wissen von Griechen und Römern war in der westlichen Welt verloren gegangen, es existierte vereinzelt davon in Klöstern und an den jungen Hochschulen. Die Entdeckung des Blutkreislaufs war noch 600 Jahre entfernt, die von Antibiotikum und Desinfektion noch 800 Jahre. Hospitäler? Heilpraktiker? Orthopäden? Apotheken? Narkose? Gab es nicht. Wer erkrankte oder verwundet war, blieb meist auf sich gestellt. Die Erfindung des Berufes "Arzt" ließ auf sich warten, "Bader" oder "Feldscher" kamen auch erst 250 Jahre später  auf den Plan. Wer krank wurde, dem halfen: Gebete. Kräuter. Und die "schmutzige Medizin": das Auflegen von Amuletten, Knochen, von getrockneten Kröten, Beeren, derlei. Und weil einen Mann das Elend, die Krankheiten, die Verletzungen, die Wunden, die er gesehen hatte, dauerte: darum gründete er in Jerusalem in einer bestehenden Pilgerherberge eine Bruderschaft, die sich um all die Kranken und Verwundeten kümmerte: Den Ordo Hospitalis Sancti Johannis Ierosolimitani, den Johanniter- oder auch Hospitaliterorden. Das war - 150 Jahre vor Franz von Assisi - etwas Neues: Eine Organisation mit Menschen, die sich um andere kümmern, denen es nicht so gut geht. Das entsprach der Idee des Mannes, der am Kreuz gestorben war, schon eher als in der Gegend herumziehen und Andersgläubige abschlachten. Es war in seinem Geiste.

Das Hospital von Jerusalem war ein Erfolg, was die Menge an Hilfesuchender dort angeht. Bruder Gerhard, der Gründer und erste bekannte Vorsteher des Hospitals von Jerusalem, schrieb um 1120 in ungewöhnlicher Klarheit: "Unsere Bruderschaft wird unvergänglich sein, weil der Boden, auf dem diese Pflanze wurzelt, das Elend der Welt ist, und weil, so es Gott gefällt, es immer Menschen geben wird, die daran arbeiten wollen, dieses Leid geringer, dieses Elend erträglicher zu machen."

Aber bei der guten Idee der Krankenpflege blieb es schon damals nicht. Ehrgeiz gehört nunmal zum Menschsein. Neben der Krankenpflege nahmen die Johanniter dann auch die Bewachung der Kranken in ihr Programm auf. Dann die Bewachung der Krankentransporte. Dann die Abwehr der Heiden von den Krankentransporten. Dann die Abwehr der Heiden überhaupt. Dann die Rückeroberung des Heiligen Landes. Und zuletzt die Vertreibung der Heiden. Aus der Idee, für die Schwachen und Hilflosen da zu sein war ein prosperierendes Unternehmen geworden. Für den heiligen Zweck stifteten und schenkten vor allem im deutschen Reich Prominente und Unbekannte. 1136 bekam der Orden im heiligen Land erstmals eine Burg übertragen zur Verteidigung irgendwo in dem unwirtlichen Gebietsstreifen, der noch heute - warum eigentlich? - so umkämpft ist wie ehedem zu Zeiten der Johanniter. Sie machten ihre Sache gut. Weitere Aufträge kamen hinzu, irgendetwas zu erobern, irgendetwas zu halten, was nicht zu halten war. Der Orden prosperierte immer mehr, und das ging bis 1291. Da war der Traum von dem unwirtlichen Gebietsstreifen in weitere Ferne gerückt denn je. Muslime hatten ihn wieder unter ihre Kontrolle gebracht, und die Johanniter waren die letzten, die die Festung Akkon, die letzte Handbreit des unwirtlichen Gebietsstreifens räumten, das von dem großartigen Unternehmen 250 Jahre vorher übrig geblieben war. Das heilige Land: es war verloren.


Der Orden war ohne Plan, wie es nun weitergehen sollte. Das einträgliche Geschäft, für andere gegen Muslime zu kämpfen: es war in die Krise geraten. Bis sich - keine 15 Jahre später - 1306 der Großmeister des Ordens des Ortes Rhodos annahm. Die Insel selbst war unklarer Herrschaftsbereich: Eigentlich gehörte sie zu Byzanz, also östlichen Glaubenbrüdern. Westliche Christen lebten auch da, Genuesen, und trieben Handel. Muslime. Seldschuken. Die Johanniter focht das nicht an: Aus eigenem Antrieb drangen sie in einem zwei Jahre dauernden Kleinkrieg von Rhodos, der Stadt aus nach Süden vor: Unterwarfen, was sich ihnen in den Weg stellte, nahmen, was ihnen gefiel und ließen liegen, was ihnen nicht gefiel. Zwei Jahre später war Rhodos Johanniterstaat.


Aber jetzt ging es erst richtig los. Mit Tatkraft und Inbrunst taten sie, was sie immer getan hatten: Heiden bekämpfen. Und das auf zweierlei Arten: Sie befestigten Rhodos und bauten die Stadt zu einer der größten Festungen ihrer Zeit aus. Rhodos ist noch heute eine der besterhaltenen mittelalterlichen Wehranlagen der Welt. Gleichzeitig rüsteten sie mit den Einnahmen aus dem Heimatland schnelle Galeeren aus. Nicht viele. Im 15. Jahrhundert, meint David Abulafia, waren es nicht mehr als eine Handvoll, die unter der roten Flagge mit dem weißen Kreuz fuhren und mit Geldern aus der Heimat finanziert wurden: aber die hatten es in sich. So berichtet Abulafia in seinem immer wieder lesenswerten Buch DAS MITTELMEER darüber, wie eine Galeere der Johanniter mit dem schönen Namen Unsere lieben Frau von der unbefleckten Empfängnis um das Jahr 1492 herum einen türkischen Frachter verfolgt, aufbringt und die Besatzung sogleich auf die Ruderbänke schickt. Für Jahre, wenn nicht ein Leben lang.

Hier ein Modell einer venezianischen Galeere des 16. Jahrhunderts aus dem Museo dell' Arsenale, Venedig  

Sie machten Jagd auf alles, was sich zwischen Rhodos, der türkischen Küste und Kreta muckte. Geführt von christlichen Rittern, gerudert von Galeerensklaven, erbeuteten sie auf eigene Rechnung, was immer ihnen begehrenswert erschien: Geld, Gold und vor allem immer neue Sklaven, die zu zweierlei Nütze waren: Galeeren rudern. Und Befestigungen bauen. Wie ein Kranz liegen diese Befestigungen heute um Rhodos: auf den höchsten Gipfeln von Symi und Chalki und dem unbewohnten Alimnia, sogar auf dem türkischen Festland in Bodrum und Fethiye findet man heute Festungen der kriegerischen Johanniter.

Am Ende war der Gegner größer. Eine erste Belagerung der Osmanen überstanden die Johanniter. Zu stark waren die Mauern selbst für die türkischen Kannonen, zu klug die Verteidigungsmaßnahmen. Die zweite Belagerung 1522 wurde noch entschlossener geführt, und sie dauerte ein halbes Jahr. Am 22. Dezember 1522 kapitulierten die Johanniter. Und durften ehrenvoll abziehen. Süleyman der Prächtige hatte ein Faible für gute Gegner. Die Johanniter aber segelten Anfang Januar 1523 zusammen mit ihren Anhängern nach Kreta. Sie verliessen Rhodos für immer. 

Auf Rhodos aber sind ihre Zeichen, die sie auf den Mauern hinterließen, noch heute zu sehen.


Wie es danach mit den Johannitern weiterging? Das ist eine andere Geschichte, aber sie sei rasch erzählt. Es folgten ein paar Jahre der Orientierungslosigkeit, bis sie ein Geschenk erhielten, das eigentlich ein fauler Apfel war: Karl V. - eben der mit Luther - "schenkte" ihnen die Insel Malta. Die Türken hatten aus dem östlichen Mittelmeer auf das westliche hinausgegriffen und strebten die Herrschaft über Sizilien und Süditalien an. Der Schlüssel dazu: war Malta. Die Ordensbrüder in den roten Mänteln mit dem weißen Kreuz machten sich ans Werk. Sie bauten die Hauptorte auf Malta zu Festungen aus. Und sandten ihre Galeeren wieder hinaus auf Raubzüge, irgendjemand musste ja her, um Steine zu schleppen, Festungen zu bauen, Galeeren zu rudern. Als die Türken 1555 Malta noch entschlossener belagerten als vorher Rhodos, hielten die Johanniter aus. Malta und Süditalien blieben Bestandteil der westlichen Welt, anders als Griechenland, Albanien, Serbien, Kroatien.

Noch in diesen Jahren - eben wegen Luther - teilte sich der Orden in einen protestantischen (Johanniter) und einen katholischen Zweig (Malteser). Beide wurden 1811 durch den großen Beseitiger der alten Welt, durch Napoleon aufgelöst. Die Johanniter aber wurden 1952 als Unfallhilfe neugegründet, sich rückbesinnend auf den Zweck, zu dem sie vor fast 1.000 Jahren gegründet worden war en: Sich denen zu widmen, die wehrlos am Boden liegen.


Und während der Meltemi durch die zerstörten Mauern der Festung streicht, schaukelt LEVJE in der Dünung, nichts ahnend, welche Geschichten sich hier abspielten.



                             Weiterlesen bei: Symi. Eine deutsche Geschichte. Hier



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